Habe Ende 2020 von Johannes Krause „mit“ Thomas Trappe, Die Reise unserer Gene, Berlin 2020 (Taschenbuchausgabe), gelesen. Der Umstand, daß das Buch ausweislich seines Vorwortes ausdrücklich eine politische Wirkung entfalten (bei welcher die Masseneinwanderung raumfremder Menschen für i. O. befunden wird) soll, sei einmal erwähnt. Es sollte einem Leser bewußt sein. Da die darin zum Ausdruck gebrachte Absicht die eines Menschen ist und nicht beschränkt auf ein Buch, müßte der Verfasser folgerichtig bei jeder seiner Veröffentlichungen unter Interessenkonflikt eine entsprechende Angabe machen. Denn bei einem so ausgesprochenen politischen Wollen besteht die Gefahr einer Verengung sowohl der Erkenntnis, als auch der Mitteilung gewonnener Erkenntnis.
Der überwiegende Teil des Buches ist aber sachlich und auch gehaltvoll. Es ist sehr gut lesbar.
Das Buch enthält nur wenige regelrechte Fehler. Diese - und kein bloßer Meinungsstreit, der naturgemäß an viel mehr Stellen möglich wäre - sollen aber nachstehend kurz angemerkt werden. Es wird in vielen Fällen davon abgesehen, die Fehler eingehender zu begründen. Wer den Hinweis erhält, kann damit selbst schon die einschlägigen Gegebenheiten ermitteln.
- S. 25:
„Was hatten wir in der DNA des Fingerknochens gesehen? Sie unterschied sich sich auf doppelt so vielen Positionen vom Erbgut heutiger Menschen wie die DNA des Neandertalers von der unseren. Das musste heißen, dass der Mensch aus der Denisova-Höhle und der Neandertaler schon länger getrennte evolutionäre Wege gingen als Neandertaler und moderner Mensch“:
Logikfehler. Bei genau doppelt so vielen Abweichungen vom modernen Menschen könnten Neandertaler und Denisowaner genau so lange getrennte Wege gegangen sein, wie Neandertaler und moderner Mensch. Bei nur knapp doppelt so vielen Abweichungen könnten Denisovaner und Neandertaler weniger lange getrennt gewesen sein.
- S. 36:
„Das Erbgut eines zehn Generationen zurückliegenden Ahnen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr in einem aktuellen Genom aufzuspüren.“
Nein. Die Wahrscheinlichkeit beträgt etwa 50%, vgl.
https://gcbias.org/.../how-much-of-y...ome-do-you.../
- S. 37:
Dort wird oben von den Leuten der Grubengrabkultur (engl. Yamnaya) aus der osteuropäischen Steppe gesprochen. Das ist ganz zutreffend. An praktisch allen anderen Stellen im Buch, die hier gar nicht einzeln genannt werden sollen, wird davon gesprochen, daß diese „nach Europa“ usw. kamen, was natürlich schlicht unzutreffend ist, wenn sie aus einem bestimmten Teil von Europa kommen (was sie auch tun).
- S. 37:
„Populationen, die geografisch und genetisch so eng beieinanderliegen wie etwa Franzosen und Portugiesen, sind deswegen auch nur mithilfe der Hochleistungssequenzierung voneinander zu unterscheiden.“
Unrichtig, wie jeder weiß, der sich eingehender mit Herkunftsschätzungen aus einfachen genealogischen DNS-Tests befaßt hat.
- S. 47:
„Die ältesten Fossilien des Homo sapiens sind etwa 160000 bis 200000 Jahre alt und stammen aus Äthiopien.“:
Nein. Es gibt diese Funde des anatomisch modernen Menschen:
- Dschebel Irhoud, Marokko, etwa 300.000 Jahre alt, neu bestimmt 2017.
- Apidima 1, Griechenland, etwa 210.000 Jahre alt, neu bestimmt 2019.
- Misliya-Höhle, Israel, etwa 180.000 Jahre alt, gefunden 2018.
- S. 96:
Es sind die Pfeile der Ausbreitung von Jäger-Sammlern aus (etwa) Skandinavien als Darstellung von Wissen unrichtig. Sie sind rein spekulativ und vermutlich sogar unzutreffend.
Man hat lediglich eine Erhöhung des Anteiles des Wildbeuter-Erbgutes in den Ackerbauern festgestellt. Dieses erklärt sich zwanglos bereits aus einem Aufgehen der letzten getrennt lebenden Wildbeuter - deren Bestattungen mangels Seßhaftigkeit schwer zu finden sind - in den Ackernbauern.
- S. 105:
„Nur konnten sich in Skandinavien die Jäger und Sammler besser als im übrigen Europa behaupten, ihre DNA ist heute im Norden präsenter als irgendwo sonst auf dem Kontinent.“:
Letzteres ist schlicht falsch. Die höchste Erbanteile von Jägern und Sammlern sind in Nordnosteuropa. Schon Finnland hat unvergleichlich höhere Anteile als Skandinavien ( = skandinavische Halbinsel), aber auch das Baltikum und Nordrußland. Länder, wie Weißrußland und Polen haben Anteile wie in Skandinavien.
Es ist aber auch der suggerierte Zusammenhang zwischen den Verhältnissen heute und denen bei der Ausbreitung der Bauern in Skandinavien irreführend, weil etwa 4/5 (!) des heutigen Erbgutanteiles von Jäger-Sammlern in Skandinavien, von der späteren Einwanderung grubengrababgeleiteter Menschen (Streitaxtleute) herrührt.
- S. 107:
„In der DNA vor allem der Nord- und Mitteleuropäer schlägt sich die Trichterbecher-Epoche bis heute nieder. Bei Skandinaviern ist die genetische Komponente der Jäger und Sammler fast genauso groß wie die der anatolischen Ackerbauern, in Litauen, also dem dem östlichen Trichterbecher-Gebiet, übertrifft sie diese sogar. Im Süden Europas, wohin die anatolische Einwanderung zuerst kam, überwiegt und die skandinavische Gegenbewegung nicht vordrang, überwiegt hingegen das anatolische Element. Heutige Südfranzosen und Nordspanier haben kaum Jäger-und-Sammler-DNA, die Menschen in der Toskana noch weniger.“
Zur „skandinavischen Gegenbewegung“ wurde bereits ausgeführt.
- Die Trichterbecherkultur war nicht in Litauen, ein Vorhandensein im Grenzbereich vorbehalten.
- Die Trichterbecherkultur war auch nur zu einem geringen Bruchteil in Skandinavien ( = skandinavische Halbinsel).
- Ein Trichterbecher-Mensch aus Skandinavien (Kvarlöv5164) hatte etwa 7,5 % EHG + 14% WHG = 21,5% Wildbeuter-DNS.
- Ein anderer Trichterbecher-Mensch aus Skandinavien (Gökhem2) hatte etwa 5 % EHG + 16,5% WHG = 21,5% Wildbeuter-DNS.
- Ein heutiger Italiener aus Latium hat etwa 13% EHG + 2,5% WHG = 15,5% Wildbeuter-DNS.
- Ein heutiger Südfranzose aus der Auvergne hat 27,5% EGH + 5,5% WHG = 33% Wildbeuter-DNS.
- Ein heutiger Spanier aus Kastilien hat 22,5% EHG + 5,5% WHG = 28% Wildbeuter-DNS.
- Ein heutiger (durchschnittlicher) Deutscher hat 34% EHG + 6,5% WHG = 40,5% Wildbeuter-DNS.
- Ich (Ost-Deutscher) habe 38% EHG + 7,5% WHG = 45,5% Wildbeuter-DNS.
- Ein heutiger Schwede hat 39% EHG + 8,5% WHG = 47,5% Wildbeuter-DNS.
- Ein heutiger Este hat 51% EHG + 5,5% WHG = 56,5% Wildbeuter-DNS.
Es ist also abwegig, skandinavische Trichterbecherleute als Träger eines besonders hohen Erbgutanteils von Jägern und Sammlern zu bezeichnen. Heutige Spanier und Südfranzosen haben erheblich mehr.
- S. 116:
Nachdem von Ur-Nordeurasier (Ancient North Eurasian, ANE) und dem Mal’ta-Jungen gesprochen wird heißt es: „Warum finden wir sie [diese DNS] dennoch in nahezu allen heutigen Europäern, und zwar mit einem Anteil von bis zu 50%?“:
Sie beträgt etwa 16%. Eine Verwechslung mit dem Anteil der „Steppen-DNS“?
- S. 116:
„(...) Mal’ta-Gene. Doch vor 4800 Jahren tauchten sie plötzlich auf, und zwar nicht zaghaft, sondern massiv und schlagartig. Die genetischen Komponenten von der Ackerbauern und der Jäger und Sammler verschwanden in dieser Zeit fast vollständig.“
Unrichtig, möglicherweise sogar aufgrund von mehrfacher Unkenntis.
- Es verschwand „in dieser Zeit“ nicht das besagte Erbgut, sondern in den Gräbern der Einwanderer wurde (natürlich) nur das Erbgut der Einwanderer festgestellt.
- Das Steppen-Ebgut bestand zu 50-60% aus EHG (Rest CHG), so daß das Jäger-Sammler-Erbgut nicht „verschwand“, sondern - im Gegenteil - gewissermaßen explodierte!
- Die Entstehung und genaue Zusammensetzung von EHG ist nicht abschließend geklärt, aber in dieser Komponente ist es, wo etwa 40% ANE/“Mal’ta-Gene“ drin sind.
- S. 118:
„Die Steppen-DNA setzt sich dabei genau genommen aus zwei Teilen zusammen. Denn die Menschen der pontischen Steppe gingen nicht nur auf die anzestralen Nordeurasier zurück, sondern auch auf Einwanderer aus der Region des heutigen Irans - also der östlichen Hälfte des Fruchtbaren Halbmonds, in dem (...)“:
Hier setzt sich wohl tatsächlich Unkenntnis fort.
- Zur Zusammensetzung des Steppenerbgutes s. vorstehend.
- Der Umstand von EHG und etwa 60% davon, nämlich unbenannte europäische HG, die neben den 40% ANE darinnen sind, fallen hier ganz unter den Tisch.
- Der Beitrag von CHG zur späteren Steppen-DNS kommt sehr wahrscheinlich von dort, wo Krause es angibt, nämlich von südöstlich des Kaukasus-Kamms, etwa aus der heutigen Provinz Aserbaidschan im Iran.
- Das ist aber gerade nicht Teil des Fruchtbaren Halbmonds, bitte nachsehen.
- S. 118:
„Die heutigen Europäer sind folglich Nachfahren von Jägern und Sammlern aus Europa und aus Asien sowie zu ungefähr 60 Prozent von westlichen und östlichen Bewohnern des Fruchtbaren Halbmondes.“:
- Falsch.
- Wie wahrscheinlich ist es, daß ein Professor, der ein tausendfach aufgelegtes Sachbuch herausgibt und sich ausdrücklich über den Fruchtbaren Halbmond äußert, weder dessen Ausdehnung im Westen, noch im Osten, kennt? Das ist Abiturwissen.
- Wie wahrscheinlich ist es demgegenüber, daß ein solche Falschaussage absichtlich und aus politischen Gründen gemacht wird?: Sind wir nicht eigentlich alle Iraker und Syrer? Sie verstehen jetzt vielleicht den Interessenkonflikt, den ich Eingangs ansprach.
- Die Ackerbauern in Anatolien leiten sich genetisch auch nicht von einer Zuwanderung aus dem Fruchtbaren Halbmond ab. Der Fund des süd-anatolischen Jäger-Sammlers ZBC aus Pinarbasi legt eine fast vollständige Entwicklung der Bauern aus den örtlichen Jäger-Sammlern nahe und veranschlagt eine mögliche Zuwanderung aus dem Fruchtbaren Halbmond auf allenfalls 5 bis 10%.
https://www.nature.com/articles/s41467-019-09209-7
- Zutreffend führt Krause an anderer Stelle an, daß diese anatolischen Jäger-Sammler nach derzeitiger Kenntnis im Wesentlichen aus einer Ausbreitung aus Südosteuropa stammmen. Ich habe nun nichts dagegen, diese Leute trotzdem mit „anatolisch“ zu betiteln, wenn sie in Anatolien sind oder frisch von dort gekommen sind. Aber eine rein sachliche Annäherung ist es vielleicht nicht, wenn Krause an anderer Stelle pointiert von einer „schwäbischen Bäuerin“ „aus Anatolien“, spricht, und zwar für eine Zeit von etwa 2000 Jahren nach dem Beginn der Aubreitung. Soll wohl heißen: Sind wir nicht eigentlich alle Cem Özdemir? (Wobei gerade er lustigerweise Tscherkesse ist...)
Die Englischsprachigen, deren Terminologie sonst so gerne übernommen wird, sprechen von early neolithic farmer (ENF). Ist es Ausfluß von Krauses erklärter politischen Agenda, daß hier überhaupt von „anatolischen“ Bauern gesprochen wird?
- S. 139:
Es wird mit einem Pfeil gezeigt, daß Indo-iranisch sich unmittelbar von südlich des Kaukasus ausgebreitet habe. Das ist nach der ganz überwiegenden Meinung in der Wissenschaft unzutreffend, sehr wahrscheinlich auch tatsächlich falsch.
Das Indo-iranische ist dem Baltoslawischen zu ähnlich, als daß eine Trennung bereits vor Ausbreitung der indogermansichen Sprache nach nördlich des Kaukasus möglich wäre. M. E. gilt dasselbe für Griechisch, Armenisch und Albanisch, aber da will ich nicht das Vertreten einer unrichtigen Meinung als glatten Fehler bezeichnen.
- S. 144:
„Die unterschiedlichen Sprachen der benachbarten Kulturen lassen sich demnach vermutlich mit der Einwanderung von Menschen erklären - aus der Steppe kam offenbar das Mykenische nach Griechenland, und damit eine indoeuropäische Sprache.“
Genau. Und was sollen dann die falschen Pfeile für Griechisch auf der Karte, S. 138/139?
- S. 146:
„Die Basken haben tatsächlich mehr Jäger-und-Sammler-DNA als Mitteleuropäer (...)“:
Nein.
- S. 151:
„Das Indoeuropäische hatte somit seinen Ursprung im Fruchtbaren Halbmond, wie von den Anhängern der anatolischen Theorie postuliert, aber eben nicht in West und Zentralanatolien, sondern im nördlichen Iran.“
Kein einziges der drei genannten Gebiete liegt im Fruchtbaren Halbmond.
- S. 152 f.:
„(...) das Keltische, das (...) wahrscheinlich zur Zeit der Glockenbecher-Kultur in weiten Teilen Westeuropas gesprochen wurde (...)“:
Nein. Das Keltische ist kurz vor der Zeitenwende viel zu einheitlich gewesen, als daß es schon seit 2300 v. Chr. über weite Flächen verteilt hätte gesprochen werden können. Vielmehr paßt die Sprache zur erweislichen Ausbreitung der keltischen Sachkultur aus Süddeutschland und der Westalpen ab 750-500 v. Chr.
Unabhängig davon wurden die Britischen Inseln mit aller höchster Wahrscheinlichkeit mit der Ausbreitung der Glockenbecherleute indogermanisiert, vielleicht mit einer dem Keltischen nicht ganz fernstehenden Varietät. Nur kann es nicht Keltisch gewesen sein.
- S. 194:
„So könnte die Beulenpest [Justinianische Pest] über den Kanal ins südliche England geraten sein, als die Angeln und Sachsen auf die Inseln kamen.“
Nein. Deren Ausbreitung war um 440/450, also bummelige 100 Jahre früher.
- S. 218:
„In einem der beiden Tiere, oder in beiden, dürfte (...)“:
Es sind gar nicht zwei Tiere genannt, sondern fünf oder 4 + 1. Auch aus dem Zusammenhang ist das möglicherweise Gemeinte nicht erschließbar.
- S. 242:
„So sind Angehörige der sorbischen Volksgruppe genetisch in keiner Weise von den sie umgebenden Sachsen, Brandenburgern (...) zu unterscheiden (...)“:
Falsch, wie fast jeder Beobachter von LM Genetics-Ähnlichkeitskarten (correlation maps) unschwer feststellen kann.
- S. 250:
„(...) aschkenasische Juden teilen, sondern ein besonderer Genmix, der bei ihnen häufiger auftritt und dessen einzelne Komponenten aus Osteuropa und dem Nahen Osten stammen (...)“:
Nein, aus Osteuropa stammt kein nennenswerter Erbgut-Anteil bei aschkenasischen Juden (gelegentlich mal 10%), sondern aus West- oder Südeuropa (50% (bis theoretisch 100%) Anteil).
- S. 252:
„Kulturelle und andere äußere Faktoren sind weit wichtiger als genetische, ansonsten wäre in Bildungsstudien nicht duzendfach der Zusammenhang von Elterneinkommen und Bildungserfolg belegt.“:
Der zweite Halbsatz beinhaltet den geradezu lehrbuchhaften Denkfehler, eine Korrelation mit einer Ursächlichkeit gleichzusetzen. Kann ein Hochschullehrer so unverständig sein oder ist es versuchte Manipulation?
Bookmarks