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View Full Version : Weltwoche Artikel wird dem Vedacht des Rassismus bezichtigt



Arne
04-16-2012, 10:58 AM
Wie ich finde, völlig zu Unrecht.
http://www.welt.de/politik/deutschland/article106173456/Kriminelle-Roma-Familien-missbrauchen-die-Kinder.html


Darf eine Zeitung Realitäten abbilden, die mit Tabus behaftet sind? Deutsche Gründlichkeit und Schweizer Skepsis.
Von Roger Köppel

Die letzte Titelgeschichte über die steigende Kriminalität von Roma-Banden in der Schweiz und den Missbrauch von Roma-Kindern für Verbrechen und Prostitution hat massive Diskussionen und Kritik ausgelöst. Aus Deutschland und Österreich trafen Klagen ein. Einzelne Kläger klagten erklärtermassen, ohne den Artikel gelesen zu haben. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma möchte gar ein Vertriebsverbot der Weltwoche in Deutschland verfügen. Wir luden die Kläger ein, ihre Argumente in der aktuellen Ausgabe darzulegen, doch die Kritiker lehnten ab. Stattdessen soll die Weltwoche juristisch belangt werden.

Die Vorgänge werfen grundsätzliche Fragen auf: Wie weit darf eine Zeitung unerfreuliche, mit Tabus behaftete Realitäten abbilden? Wieweit ist es erlaubt, politisch unkorrekte oder politisch unerwünschte Missstände aufzudecken? Es ist eine Tatsache, dass die Roma-Kriminalität in der Schweiz auf einem hohen Niveau weiter stark zunimmt. Es ist zudem eine Tatsache, dass für die kriminellen Aktivitäten gezielt Roma-Kinder missbraucht werden. Darüber berichtete differenziert auf mehreren Seiten die letzte Weltwoche. Man kommt diesen Problemen nicht durch Klagen und Maulkörbe gegen Journalisten bei.

Es heisst, die Darstellung solcher Missstände sei «rassistisch». Diesen Vorwurf weisen wir mit aller Entschiedenheit zurück. Rassismus entsteht dort, wo die negativen Begleiterscheinungen von Migration tabuisiert und verschwiegen werden. Es muss gestattet sein, die Abgründe des freien Personenverkehrs in Europa auszuleuchten. Die Schweiz ist beileibe nicht das einzige Land, das unter den Roma-Banden leidet. Die gereizte bis hysterische Reaktion auf unseren Artikel beweist allerdings, dass man die offene Diskussion darüber scheut und verhindern will. Die Weltwoche wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass echte Missstände ans Licht kommen, damit sie diskutiert und schliesslich behoben werden können.

Der Schriftsteller George Bernard Shaw erkannte die Schattenseiten der deutschen Gründlichkeit, die in Kultur und Wissenschaft glanzvolle Leistungen hervorbrachte, in der Politik allerdings Unverträglichkeiten und Katastrophen produzierte: «Die Deutschen haben grosse Vorzüge, aber auch eine gefährliche Schwäche: die Besessenheit, jede gute Sache so weit zu treiben, bis eine böse Sache daraus geworden ist.»

Der Satz stimmt. Er gilt noch heute. Die Deutschen sind keine Skeptiker, die sich mit dem Zweifel zufriedengeben, sondern Leute, die den Dingen bis zur letzten Gewissheit auf den Grund gehen wollen. Ambivalenz, Unschärfe verunsichert sie. Eine vage Ahnung des Richtigen genügt ihnen nicht. «Was immer der Deutsche ergreift, dessen bemächtigt er sich bis in die letzten Intensitäten hinein», schrieb der Mediziner und Politiker Willy Hellpach in seinem lesenswerten Klassiker «Der deutsche Charakter» von 1954.

Die deutsche Gründlichkeit läuft logisch auf politische Intoleranz hinaus. Der Gründliche duldet keinen Widerspruch, weil es keinen Widerspruch geben kann, wenn eine Sache ergründet worden ist. Hat der Gründliche den letzten Grund einmal erreicht, kann nur einer vollständig recht und können nicht mehrere teilweise recht haben. Der Gründliche geht davon aus, dass alle Menschen, hätten sie die Dinge so durchschaut wie er, nach den gleichen Vorstellungen leben würden. Andere Lebensweisen irritieren ihn, weil sie ihm als Ausdruck schlechter Moral oder mangelnder Intelligenz erscheinen. Kompromisse kommen vor, aber eigentlich streben die Gründlichen die Schönheit vollkommener Konzepte und absoluter Begriffe an (Gerechtigkeit, Moral, Gemeinschaft, Solidarität).

Aus dem Gesagten wird klar, warum die Schweizer im Steuerstreit mit den Deutschen scheitern mussten. Die Schweizer sind sorgfältig, aber nicht gründlich. Es fehlt ihnen die Fähigkeit zur dogmatischen Intoleranz, zur moralischen Absolutsetzung des eigenen Standpunkts. Die Schweizer sind Skeptiker, Pragmatiker und deshalb Weltmeister des Entgegenkommens. Politisch sind sie auf Kompromiss programmiert, und eine ihrer grössten Schwächen besteht darin, dass sie auf die gleiche Nachgiebigkeit hoffen, die sie selber in Konflikten so freigebig offerieren.

Für die Deutschen war von Anfang klar, dass sie im Steuerstreit ihre eigenen, aus ihrer Sicht objektiv richtigen Vorstellungen durchsetzen werden. Die Schweizer hingegen traten mit dem schlechten Gewissen des ehrlichen Zweiflers in den Ring, der von Geburt an gewohnt ist, dem Hausfrieden zuliebe der anderen Seite recht zu geben.

Um fair zu bleiben, muss man sich die Frage stellen, wie die skeptischen Schweizer den gründlichen Deutschen erfolgreicher hätten begegnen können. Die Antwort ist einfach. Unsere Rettung und die unserer Politiker ist die direkte Demokratie. Was heute auf oberster Stufe verhandelt wurde, kann morgen an den Urnen wieder versenkt werden. Das ist die grosse Stärke der Schweiz. Das Wohl des Landes hängt dank der direkten Demokratie zu einem geringeren Teil von der Qualität der jeweils amtierenden Politiker ab. Das System kommt ohne Helden aus.

Wie soll sich die Schweizerische Nationalbank (SNB) angesichts des steten Aufwertungsdrucks auf den Franken verhalten? Noch verteidigt sie eisern die Euro-Untergrenze bei 1.20. Linke Politiker und auch Industrieverbände wollen der Notenbank eine weitere Schwächung des Frankens zumuten. Es wäre das falsche Ziel. Kürzlich hielt der renommierte Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann an einem Anlass der Luzerner Privatbank Reichmuth & Co einen interessanten Vortrag. Er zeigte sich am Schluss etwas verwundert und auch ehrlich ratlos, wie sich die SNB angesichts des bei 1.20 «festklebenden» Kurses verhalten möge. Anders als Ende der siebziger Jahre, als die Nationalbank gegenüber der D-Mark eine Untergrenze fixierte, ehe die Mark wieder zulegte, bleibt der Euro schwach.

Guter Rat ist teuer, aber eines ist sicher. Der Aufwertungsdruck auf den Franken bleibt, und irgendwann muss die Schweiz im Währungsbereich zur freien Preisbildung zurückkehren. Eine sprunghafte Aufwertung des Frankens hätte in der Exportindustrie einen hohen Blutzoll gefordert. Auf langsame oder gestufte Aufwertungen können sich die Unternehmen jedoch einstellen. Der Frankenkurs kann nicht auf ewig fixiert und politisch ferngesteuert werden.
Quelle http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2012-15/editorial-roma-die-weltwoche-ausgabe-152012.html