Historisches Ereignis: Preußisches Wörterbuch komplett

"Wat es dat beste am Schwienskopp? – Dat Schwien". Das Beste am Schweinekopf ist das Schwein selbst, sagte man in Ostpreußen. Dass ein Schweinskopf aber auch ein Musikinstrument und Schweinsknups ein Knopf eines Kinderspiels ist, lässt sich im Preußischen Wörterbuch nachschlagen, das am Donnerstag bei einem Festakt mit über 100 Gästen in der Hermann Ehlers Akademie vorgestellt wurde. Seit 1952 arbeiteten Wissenschaftler in Kiel daran, die Mundarten der ehemaligen deutschen Provinzen Ost- und Westpreußen zu dokumentieren. Rund 2,5 Millionen Zettel, Bücher, Zeitschriften, Kopien, Fotos und Tonbänder wurden dafür ausgewertet.

1974 erschien die erste Veröffentlichung, nun ist das historische Werk komplett: Das Preußische Wörterbuch umfasst 100.000 Stichworte auf 3600 Seiten und erläutert in sechs Bänden, wie die Menschen vor 1945 südwestlich der Memel gesprochen haben. Typische Begriffe, Redewendungen, Sprichwörter und Fachausdrücke wurden ebenso aufgenommen wie Sprachkarten und Illustrationen. So konserviert das Werk nicht nur Mundarten der preußischen Sprachlandschaft, sondern vermittelt als Zeugnis deutscher Geschichte auch Eindrücke der Mentalität, der Berufsgruppen und des Alltagslebens, das meist von harter Arbeit, aber auch von einem hintersinnigen Humor geprägt war. "Äte Se man, Soldatke, on wenn Se e ganzet Ei opäte" – ist die Aufforderung an den Soldaten, er möge doch kräftig essen, es darf sogar ein ganzes Ei sein. Bodenständige Ostpreußen lassen sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen, doch bei der Geburt von Zwillingen kommt die junge Frau etwas ins Schwitzen: "Doa kann eener rein dat Schweete krije! Säd jen Marjell, doa kreech se twee Kinder opp eenmoal."

Schon 1911 hatte der Königsberger Professor Walther Ziesemer an einem derartigen Dialektlexikon gearbeitet, sein wertvolles Archiv wurde jedoch im Krieg vollständig zerstört. Erhard Riemann, letzter Assistent Ziesemers, siedelte sich nach der Flucht in Kiel an und begann 1952 das Mammutprojekt "Preußisches Wörterbuch", das ab 1953 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und vom Land, ab 1979 von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz gefördert wurde. Seit 40 Jahren war die Wörterbuchstelle auch Teil des Germanistischen Seminars der Kieler Universität. Riemann konnte einen Stamm von 425 Mitwirkenden für sein Projekt begeistern. So wurden bis 1960 nicht nur umfangreiche Fragebögen, sondern auch Sammlungen von Literatur und zahlreiche Quellen ausgewertet sowie Tonbandaufnahmen der Mundartsprecher archiviert.

"Das Wörterbuch ist etwas Besonderes", sagte Projektleiter Prof. Friedhelm Debus, "wir dokumentieren eine alte Sprach- und Kulturlandschaft, die 700 Jahre bestanden hat". Vier Forschergenerationen seien beteiligt gewesen, berichtete Reinhard Goltz, der 20 Jahre lang für das Preußische Wörterbuch gearbeitet hat, davon seit 13 Jahren als verantwortlicher Herausgeber. "Eine Sprache retten oder eine Sprache erhalten – das kann kein Wörterbuch leisten", meinte Goltz, doch es biete "die sprachliche Dokumentation einer kompletten Alltagswelt in Ost- und Westpreußen mit Schimmelreiterumzügen, mit Stellnetzfischerei im Kurischen Haff und Schweineschlachten in jedem Dorf". Und so wird ein Landstrich vor dem Vergessen bewahrt, in dem Steckrüben Wruken hießen, Kartoffeln als Tüffel, Tüffke, Tuchel, Schocke oder Bulwe zum Mittagessen gehörten , eine Anbindelomme ein Bootstyp der Fischer war und ein Lorbass ein Lausejunge. Darauf einen Pflaumenlikör: ein "Prünellche für's Marjellche".

Preußisches Wörterbuch, Hrsg. Reinhard Goltz, sechs Bände, Wachholtz-Verlag Neumünster, 990 Euro.