BILD: Herr Özdemir, was essen Sie lieber: Döner oder Currywurst?

Özdemir: Weder das eine noch das andere. Ich bin Vegetarier. Ich bevorzuge die fleischlose Küche ...

BILD: ... aus Überzeugung?

Özdemir: Das hängt auch mit Kindheitserfahrungen zusammen. Ich bin direkt neben einem Schlachthof groß geworden – und oft drinnen gewesen. Das schreckt ab und prägt fürs Leben. Für meine türkischen Eltern war das eine schwierige Entscheidung: Ein Mann, der kein Fleisch isst – das geht eigentlich nicht. Da war es nicht ganz einfach, Vegetarier zu werden. Mittlerweile essen meine Eltern auch kein Fleisch mehr.

BILD: Sie waren nach der Hunzinger-Affäre 2003 politisch so gut wie tot. Was haben Sie daraus gelernt?

Özdemir: ... dass ich auch außerhalb der Politik meine Brötchen verdienen kann. Diese Unabhängigkeit ist mir wichtig. Denn ich weiß: Ich kann auch ohne Politik.

BILD: Laut neuester PISA-Studie ziehen vor allem Migrantenkinder das Niveau der deutschen Schulen runter. Was läuft da schief?

Özdemir: Das ist keine Frage von ethnischer, sondern von sozialer Herkunft. Ein Kind aus einer benachteiligten deutschen Familie hat in der Schule genauso große Schwierigkeiten wie ein Kind aus einer benachteiligten türkischstämmigen Familie ...

BILD: ... das aber oft nicht einmal deutsch spricht ...

Özdemir: Auch deswegen müssen wir für alle Kinder unabhängig von ihrer Herkunft, für all die Kinder, die kein Elternhaus haben, das ihnen ausreichend helfen und sie z. B. bei den Schularbeiten unterstützen kann, die richtigen Schlüsse aus der PISA-Studie ziehen: Wir brauchen für diese Kinder sehr früh die Chance auf einen Kitaplatz. Und wir brauchen die Ganztagsschule, damit kein Kind nach Hause gehen muss, ohne dass die Schularbeiten gemacht sind. Vor allem, wenn vielleicht daheim ununterbrochen der Fernseher läuft. Hinzu kommt: Nach vier Jahren zu entscheiden – der oder die zum Gymnasium, die anderen abgeschoben auf die Hauptschule – das ist fahrlässig und nicht mehr zu verantworten.

BILD: In deutschen Schulen werden alle möglichen Fremdsprachen unterrichtet – aber kaum Türkisch. Ein Fehler?

Özdemir: Auf jeden Fall. Zweisprachigkeit ist in der globalisierten Welt ein großes Plus und ein Potenzial, das wir stärker nutzen müssen. Deutsch muss für Kinder, die hier leben und aufwachsen, immer die wichtigste Sprache sein. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass Kinder mit Migrationshintergrund ihre Mehrsprachigkeit entfalten können. Warum soll an deutschen Schulen neben Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch nicht auch mehr Türkisch angeboten werden?

BILD: Könnten Sie sich eigentlich vorstellen, nach der Bundestagswahl 2009 am Kabinettstisch von Angela Merkel zu sitzen?

Özdemir: Als Vorsitzender der Grünen ist es meine Aufgabe, gemeinsam mit Claudia Roth die Partei für den Wahlkampf aufzustellen. Für mögliche Ministerämter gibt es andere Anwärter. Und was ein mögliches Bündnis mit der Union betrifft: Wir sind zwar nicht der Juniorpartner der SPD, wir setzen auf Eigenständigkeit. Das heißt aber nicht, dass wir für alles offen sind. Wenn Frau Merkel z. B. den Ausstieg aus der Kernenergie rückgängig machen will, sagen wir klipp und klar: Ohne uns – und gute Reise!

BILD: ... und was wäre mit einem Bundeskanzler Steinmeier?

Özdemir: Schon besser. Regieren mit den Sozialdemokraten ist zwar nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. Aber klar ist auch: Die SPD ist uns natürlich immer noch viel näher als die meisten Positionen der Union. Nur müssen Müntefering und Steinmeier sich bei Umfragewerten von 25 Prozent da noch kräftig ins Zeug legen.

BILD: Könnten Sie sich einen türkischstämmigen Kanzler vorstellen, einen Minister, der vielleicht seinen Amtseid auf den Koran schwört ...

Özdemir: Genau das sollte sich ändern, dass vor allem gefragt wird, worauf ein Minister seinen Amtseid ablegt. Ich wünsche mir, dass unsere Gesellschaft farbenblind wird. Dass es völlig unerheblich ist, woran jemand glaubt. Entscheidend muss doch sein, wie gut, qualifiziert und überzeugend ein Politiker ist. Wichtig ist doch, wo ein Politiker hin will – nicht, wo er herkommt. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass es in Deutschland bald die erste Ministerin mit Migrationshintergrund gibt, bei der genau das keine Rolle spielt.
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